Im Brugger General-Anzeiger erschien am 10. 3. 16 meine Kolumne

  Im Trend

 „Blau steht mir nicht“, sagte sie entschieden und legte das königsblaue T-Shirt wieder zurück. Die Verkäuferin zuckte mit den Schultern. „Haben Sie nichts in Violett?“ fragte die Frau. „Das ist dieses Jahr nicht Mode“, belehrte sie die Verkäuferin. „Was ist denn dieses Jahr Mode?“ fragte die Frau nicht ohne Ironie in der Stimme. „Blau“, antwortete die Verkäuferin knapp. „Na dann“, sagte die Frau und verliess mit einem kühlen „Adieu“ das Geschäft.

Sie schlenderte die Einkaufsstrasse entlang und warf suchende Blicke in all die Kleidergeschäfte, die sich fast eines an das andere reihten. Tatsächlich, stellte sie fest, überall Blau, Blau in allen Schattierungen. Sie schüttelte den Kopf. Sie würde sich doch nicht von der Mode diktieren lassen! Blau stand ihr nun mal nicht, und ohnehin: Wenn alle Blau trugen, dann wollte sie es erst recht nicht tun! Wie konnten die Frauen, die sich dem Modediktat unterwarfen, derart ihre Individualität aufgeben? Natürlich: Es ging darum, dazuzugehören. Wollte sie denn nicht dazugehören? Irgendwie schon, gestand sie sich ein; jedenfalls war sie eigentlich nicht zur Aussenseiterin gemacht. Aber deshalb auf all die Vielfalt verzichten, die das Leben zu bieten hatte? Nein!

Eigentlich hatte sie sich zur Feier ihres heutigen Hochzeitstages etwas Neues kaufen wollen, aber nun ...

Als sie nach Hause kam, war Jacques schon da. Sie ging zum Kleiderschrank und fragte sich unschlüssig, was sie anziehen sollte. Als hätte er ihre Frage gehört, rief er von draussen: „Ziehst Du mal wieder das kleine Schwarze an?“ Sie stutzte. Er mochte diese Farbe sonst nicht an ihr. Als er aber hereinkam, sah sie ihn verschmitzt lächeln. Aha, er hatte also eine Ueberraschung auf Lager.

Mach die Augen zu“, flüsterte er, als sie angezogen war. Ein sanftes, schmeichelndes, leicht kühles Etwas legte sich um ihren Hals. Sie öffnete die Augen. Er hatte ihr einen luftigen Seidenschal um den Hals drappiert. Er war blau!