Kolumne am 8. November 2018 im Brugger General-Anzeiger:


  Zwischen Stühlen


Was sagst du zu diesem Wetter?“
Na ja, Herbst halt. Was kann man da anderes erwarten.“
Im Süden wäre es jetzt besser“, seufzt Stuhl Nummer 1.
Ja ja, ich weiss, das erzählst du mir jedesmal, wenn es regnet. Vergiss doch endlich mal deinen Süden. Jetzt bist du hier. Und da unten war sicher auch nicht alles so toll.“
Das Wetter aber schon“.
Das Wetter, das Wetter! Du solltest froh sein um den Regen. Da gibt es weniger Touristen, die sich dich streitig machen, dich lieblos hin und her ziehen, ihre wohlgenährten Hintern auf dich fallen lassen, so dass du Angst um deine zarten Beine haben musst.
Na ja! ... Es wird Zeit, dass der Winter kommt, dann kehrt hier wieder Ordnung ein“, resümiert Stuhl Nummer 1.
Und wir sind uns wieder näher“, ergänzt Stuhl Nummer 2. „Erinnerst du dich an letztesmal?“
Und ob! Zusammen auf einem Stapel. Und du direkt über mir. Den ganzen Winter lang. Da kam kein bisschen Einsamkeit auf.“ Stuhl Nummer 1 gibt sich ganz der Erinnerung hin.
Aber lass uns nicht melancholisch werden, geniessen wir doch einfach die Stille und die Aussicht.“
Sie schweigen eine Weile, betrachten den in der Pfütze auf dem Kopf stehenden Eiffelturm und hängen ihren Phantasien nach.
Dann entschlüpft Stuhl Nummer 2 ein leiser Seufzer.
Was ist?“
Mir ist schon ein wenig langweilig – so ohne Touristen“, gesteht er schliesslich.
Siehst du, wären wir jetzt im Süden, hätten wir dieses Problem nicht.“

Aber Paris ist halt Paris – auch bei Regen. Und so dauert es nicht lange, da erscheint eine japanische Schulklasse, rennt auf die beiden zu, dass ihnen angst und bange wird, und kämpft unter grossem Gelächter und Geschrei um die beiden einsamen Stühle. Sechzehn Schüler bilden schliesslich eine Menschenskulptur, spreizen die Finger zum Victory-Zeichen, und der Lehrer knipst ein Foto.