Auf
dem Sprung
Der
Knabe sass am Beckenrand und liess die Beine ins Wasser baumeln. Seit
zwei Stunden sass er so. Sein Rücken hatte sich rot verfärbt, aber
er spürte es nicht – noch nicht.
Er
beobachtete das Treiben im Wasser und blickte immer wieder zum
Sprungturm hinauf. Dort oben tummelten sich die Königinnen und
Könige des Wassers, um sich irgendwann aus fünf Metern Höhe ins
Bassin zu stürzen.
Der
Mann, der auf der Wiese in der Nähe des Beckens lag, richtete sich
auf und tastete nach der Zigarettenschachtel. Er seufzte. Es nützte
nichts: Er konnte sich nicht entspannen. Zu gross war die Angst vor
dem, was ihm bevorstand. Er würde seine Arbeitsstelle verlieren und
sah keine Möglichkeit, an einem neuen Ort Fuss zu fassen. Es sei
denn, er würde sich selbstständig machen. Aber dazu fehlte ihm der
Mut.
Er
sog gierig an seiner Zigarette und liess den Blick schweifen. Dabei
entdeckte er den halbwüchsigen Jungen am Beckenrand. Sofort tauchten
Bilder aus seiner eigenen Jugendzeit auf. Auch er hatte seine Zeit im
Schwimmbad mehr am Beckenrand zugebracht als im Wasser. Er war
ängstlich gewesen – schon damals, und hatte die anderen um ihr
fröhliches Treiben beneidet. Am meisten aber hatte er die „Stars“
beneidet, die sich getraut hatten, vom Sprungbrett zu springen.
Er
erinnerte sich an seinen Vater, der ihn immer wieder in Situationen
gedrängt hatte, die seinen Mut hätten fördern sollen. Stattdessen
wurde er immer ängstlicher – und sein Vater immer enttäuschter.
Irgendwann liess er ihn fallen und wandte sich seiner Tochter zu.
Auch
dieser Knabe war zum Verlierer bestimmt. Andere würden sein Leben
formen, nicht er selbst.
Da
plötzlich erhob sich der Knabe und ging zögernd zur Treppe, die zum
Sprungturm führte. Mit beiden Händen hielt er sich am Geländer
fest. Oben angekommen, schloss er die Augen und sprang.
Der
Mann stand abrupt auf und eilte zum Beckenrand. Er starrte auf den
Punkt, wo der Knabe verschwunden war. Ein paar Sekunden verstrichen,
da tauchte er auf, prustend und blinzelnd. Aber sein Gesicht war ein
einziges Strahlen.