Kolumne am 14. 11. 19 in der "Rundschau", Baden, und im "General-Anzeiger", Brugg


Notfall


Na, da habe ich ja eine rechte Lawine losgetreten! Aber ich konnte die arme Kleine doch nicht so allein und hilflos im Baum sitzenlassen. Womöglich wäre sie irgendwann heruntergefallen. Sie hat es zwar nach oben geschafft, weiss aber offenbar noch nicht, wie man wieder nach unten kommt.

Deshalb habe ich der Polizei - „deinem Freund und Helfer“ - telefoniert. Hauptmann Furrer war am Telefon. Er hat allerdings wenig Mitleid gezeigt und wollte nur wissen, auf welcher Höhe meine Minka im Baum steckengeblieben war und ob es denn wirklich meine Katze sei. „Natürlich ist es meine Katze“, habe ich ihm entrüstet geantwortet. Schliesslich sagte er – eher genervt -, dann müsse ich halt die Feuerwehr aufbieten.

Item: Ich wählte die Nummer 118. Major Wagner, den ich von früheren Einsätzen her kenne, liess sich das Drama mit meiner Katze schildern. Auch er fragte mehrmals nach, ob ich denn wirklich meine Katze im Baum gesehen hätte, und ich antwortete ihm etwas unwirsch, dass kein Zweifel bestehe und dass sie doch jetzt endlich ausrücken sollten.

Das taten sie dann auch, zwar ohne Sirene und mit nur einem Auto. Aber die Leute blieben trotzdem auf der Strasse stehen, vor allem die Kinder.

Inzwischen war auch Hauptmann Furrer vorgefahren, und die beiden Männer schauten ins Geäst des Götterbaumes, kniffen die Augen zusammen, und Herr Wagner nahm sogar das Fernglas zu Hilfe.

Die Zuschauermenge auf der Strasse war auf sicher zwanzig Personen angewachsen.

Schliesslich kamen die beiden Männer mit ernster Miene auf mich zu. Herr Wagner legte mir beruhigend seine starke Hand auf die Schulter und sagte: „Liebe Frau Güntert, da oben ist keine Katze. Vielleicht hat sie sich sonst irgendwo versteckt.“

Polizei und Feuerwehr fuhren davon, und die Zuschauer verstreuten sich. Ich blieb ratlos zurück und machte mich seufzend daran, die Wäsche aufzuhängen. Da spürte ich plötzlich, wie sich etwas Weiches an meiner Wade rieb, und als ich nach unten schaute, blickte ich direkt in die gelben Augen meiner Minka.


Helga Starcevic