Am 16. November 2017 erscheint im Brugger General-Anzeiger meine Kolumne


Herbstgesänge


Herbst! Die mürben Blätter rascheln, wenn ich meine Füsse darauf setze. Ich setze sie nicht einfach auf und bewege mich fort wie normal, sondern ich schleife mit ihnen auf dem Boden dahin, wie wenn ich Schlittschuh laufen würde. Dann raschelt es um ein Vielfaches, und die Blätter stieben unter meinen Füssen auf die Seite. Wenn sie am Boden liegen, haben die Blätter schon ihre leuchtenden Farben eingebüsst; sie sind braun. Aber wenn ich mit den Füssen unter ihren Teppich greife und sie aufflattern, entströmt ihnen ein wunderbar modriger Duft, der Duft des Herbstes schlechthin.

Dabei hat der Herbst ja durchaus noch andere Gerüche – denjenigen der reifen Aepfel zum Beispiel oder der reifen Trauben. Beide verändern ihren Duft mit dem Fortschreiten der Reife und dem Beginn der Fäulnis. Wenn man kurz vor Beginn der Weinlese in die Nähe eines Weinberges kommt, erkennt die Nase dies, bevor das Auge es sieht: Es riecht nach saurem Wein – umso mehr, je feuchter die Luft ist.

Der Herbst tönt auch auf vielfältige Weise. Natürlich sind es wiederum die Blätter, die noch an den Bäumen hängen, die die lautesten Lieder singen: Wenn die Herbststürme über sie hinwegfegen, ist es ein orkanartiges Tosen, das noch die zähesten, letzten Blätter von den Bäumen holt. Regt sich nur ein leiser, sanfter Wind, dann säuseln sie, während sie sich anmutig an ihren Stängeln wiegen und sich in den letzten Sonnenstrahlen räkeln.

Die letzten Bienen summen, die um die Efeuhecken tanzen und sich an den herbstlichen Blüten gütlich tun.

Und die Luft selbst ist ein Gesang: die würzige Abendluft, die über den feuchten Wiesen liegt, atmet hörbar in langsamen, tiefen Atemzügen, bevor sich die Nacht darüber senkt.

Wenn am Morgen noch die grauen Nebel die ganze bunte Herbstpracht mit einem Schleier bedecken, so summen sie uns doch ein leises Herbstlied, wenn wir uns die Zeit nehmen, eine Weile innezuhalten und nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit den Poren zu lauschen: „Sei stille, sei stille ...“